In Watte packen oder fürs Leben abhärten?

“Du packst dein Kind zu sehr in Watte, so wird es nie lebensfähig und selbstständig.»

Solche und ähnliche Sätze müssen sich immer wieder Eltern anhören, die ihre Kinder bindungsbasiert und entwicklungsorientiert erziehen. Und nicht selten sind Eltern dadurch verunsichert, ganz besonders Eltern von Kindern, die Schweres erlebt haben oder immer noch erleben.

Auch ich musste mir solche Aussagen anhören und weiss genau, wie es sich anfühlt. Eines unserer Kinder war gesundheitlich immer wieder sehr herausgefordert. Dies schon als kleines Baby und dann später in der Schulzeit erneut.

Und ja, wahrscheinlich habe ich dieses Kind manchmal zu sehr «in Watte gepackt». Manchmal mochte ich das Kind, das gerade schon mehrmals sehr krank war, keiner weiteren Ansteckungsgefahr aussetzen. Und sicher ging manchmal auch mein Beschützerinstinkt mit mir durch.

Nun bin ich in der glücklichen Lage, dass ich bereits abschätzen kann, ob es meinem Kind geschadet hat. Hat es nicht. Gerade dieses Kind hat heute eine wunderbare Gabe, Menschen die bedürftig sind, liebevoll und umsichtig zu begegnen und sie zu pflegen.

Natürlich will ich damit nicht sagen, dass wir von nun an alle Kinder «in Watte packen» sollen. Aber ich möchte in dieser Frage für den gesunden Menschverstand plädieren oder für das Bauchgefühl von Eltern, oder einfach für den gesunden Mittelweg. Denn natürlich sollen wir unseren Kindern auch nicht alle Steine aus dem Weg räumen. Wir dürfen und sollen unseren Kindern etwas zutrauen und sie darin unterstützen, Lösungen zu finden und Probleme selbst zu lösen.

Als Eltern spüren wir, so glaube ich, eigentlich sehr gut, wo die Grenze zwischen Herausforderung und Überforderung liegt. Und ja, diese Grenze liegt bei jedem Kind an einem anderen Ort. Was für ein Kind eine relativ tiefe Hürde ist, kann für ein anderes Kind bereits sehr stressvoll sein. Heute wissen wir aus der Forschung, dass Kinder, die schon früh (in der Schwangerschaft, unter der Geburt und als Säugling) sehr viel Stress hatten, auch später sensitiver auf Stress reagieren und sich im Umgang mit Stress schwerer tun, als Kinder, die dies nicht erlebten.

So gesehen wäre es vielleicht ratsam, wenn wir alle einander zutrauten, dass wir unsere Kinder und ihre Grenzen kennen.

Und dass wir das Vertrauen entwickeln, dass Kinder keine perfekten Eltern brauchen. Etwas zu viel Watte schadet keinem Kind, genau wie es auch etwas Stress (dosiert!) braucht, damit Kinder einen Umgang damit entwickeln können.

Unsere Kinder brauchen in erster Linie authentische Eltern, Eltern, die ihre Bedürfnisse zuverlässig wahrnehmen und die eine sichere Bindung anbieten. Sie brauchen einen Heimathafen, wo ihre Herzen weich werden können und wo sie ihre Emotionen fühlen können. Und immer wieder brauchen sie viele SpielRäume. Das sind die wirklich wichtigen Dinge im Kinderleben, und Kinder, die Schweres erlebt haben, brauchen all das in einem besonderen Mass. Und ich bin überzeugt, dass ganz viele Eltern genau das umsetzen und einen wunderbaren Job machen. Das muss einfach auch mal gesagt werden. 😊

Angela Indermaur